Wir waren zu Besuch bei Maximilian Boss im alten Spa-Viertel in Berlin Gesundbrunnen. Seit Ende 2012 wohnt Max in dieser Wohnung mit Blick in den grünsten Hinterhof, den wir seit Langem gesehen haben.
Max, magst du dich einmal kurz vorstellen, was machst du den lieben langen Tag lang und wo findet man dich in der Nacht?
Hi! Ich bin Musikproduzent gesegnet mit dem Privileg dafür in der Welt umhergeflogen zu werden. Außerdem verbringe ich meine Zeit damit Möbel zu entwerfen, von denen ich ein paar für den Eigenbedarf produziert habe. Ich liebe Tennis. Und Ramen. Und nachts schlafe ich natürlich, haha.
Und was hat dich überhaupt nach Berlin verschlagen und dann auch noch in den Wedding?
Ich bin geboren in Berlin. Meine Familie ist aber vor dem Fall der Mauer in die westfälische Provinz geflüchtet, wo ich aufgewachsen bin. Trotzdem haben wir später viel Zeit bei unserer Verwandtschaft in Berlin verbracht und es war schon immer der Ort wo ich mich heimisch gefühlt habe. Nach dem Studium bin ich wieder hergezogen, erstmal an die Weißenseer Spitze, dann hat meine Bandkollegin diese Wohnung für uns von einer Freundin übernommen. Der Wedding war mir erst zu crazy, aber diese Wohnung ist sehr ruhig. Man blickt auf einen verschlossenen, verwunschenen Garten und eine überwachsene Ruine, wo die Natur ungezügelt waltet. Also es sind schon alle möglichen Greifvögel vor meinem Fenster gelandet, und manchmal spielen sich ganz dramatische Szenen ab. Da meine Bandkollegin eher nomadisch veranlagt ist wohne ich nun alleine und habe in dem Zuge viel renoviert, das heißt abgebeizt, gestrichen, einen herrlich sandfarbenen Stuck freigelegt und dieses schöne wandbündige Schalterprogramm installiert.
Hat Berlin deinen Wohnstil verändert und wenn ja wie?
Ich denke schon. Ich mag den Berliner Altbau. Mit meiner Freundin kucke ich gerade Babylon Berlin und finde es immer ganz toll wenn man sieht wie diese Räume schon vor hundert Jahren auf ganz andere Art genutzt wurden.
Wie würdest du deinen Wohnstil beschreiben?
Das ist eine gute Frage. Zielorientiert. Ich versuche für jede Situation die beste Lösung zu finden. Und vor allem bei dem beschränkten Platz ist das eine Herausforderung die großen Spaß macht. Man wächst ja auf und hat erstmal nur sein eigenes Kinderzimmer, später sein WG-Zimmer, mit dem man sich einrichtungstechnisch auseinandersetzt, der Rest ist ja außerhalb der eigenen Zuständigkeit und einem egal. Es war eigentlich ein schöner Moment, dieses Bedürfnis zu erkennen seinen Lebensraum darüber hinaus gestalten zu wollen. Die Objekte die einen umgeben sind zwangsläufig die, die im Alltag ein subtiles Feedback darüber geben wer man ist. Ich versuche den Räumen so weit es geht gerecht zu werden. Bei der Auswahl der essentiellen Gegenstände ziele ich meistens auf eine einfache, puristische Lösung, um dann an anderer Stelle opulente Akzente zu setzen. Ich mag es wenn Gebrauchsgegenstände möglichst zeitlos sind, damit man nicht gezwungen ist sich ein neues Sofa zu suchen, weil es plötzlich nervt. Die Austauschbarkeit rein dekorativer Dinge genieße ich dagegen. Für mich ist Besitz im Wesentlichen ein Stressfaktor, deshalb schätze ich die emotionale Leichtigkeit von Dekoration. Es wirkt beruhigend wenn der dekorative, pragmatische oder ideelle Wert eines Objektes geklärt ist.
Ich bevorzuge modulare Einrichtung, wenn alles beweglich bleibt, das heißt ich vermeide es Dinge an die Wand zu schrauben wenn sie auch auf dem Boden stehen können. Ich mag große Dinge, große Pflanzen, große Vasen, es ist meistens besser in groß. Ich liebe es zu sehen welche Entscheidungen andere Menschen treffen, auch wenn sie nicht unbedingt für mich klappen. Zum Beispiel finde ich schon, dass ein kleiner Tisch mit einem Stapel Bücher schön aussieht, aber es macht einfach überhaupt keinen Sinn, haha. Ich meine, ich hab meine Bücher lieber alle zusammen im Regal. Manche legen viele kleine Dinge auf die Fensterbank, aber ich mag sie frei, damit ich das Fenster aufwerfen kann. Die Räume sind meistens recht clean, damit es an anderer Stelle dreckig sein kann; dort wo das schön ist, zum Beispiel wenn zum Fenster Blätter reinwehen.
Du hast viele Möbel in deiner Wohnung selbstgebaut. Warum?
Zur Leidenschaft Objekte zu entwerfen und Räume einzurichten bin ich eigentlich erst über einen Umweg gekommen. Ich war immer recht skeptisch gegenüber Möbeln und wollte als Kind am Liebsten in einem leeren Raum wohnen. Das Kunststudium gab mir die Gelegenheit mich auf einer neuen Ebene mit physischen Objekten, ihrer Daseinsberechtigung und dem Prozess ihrer Erstellung auseinanderzusetzen. Ich möchte primär auf Dinge zurückgreifen, die bereits in einer Form existieren die mir zusagt - zum Beispiel gibt es ja wirklich sehr viele schöne Stühle - aber manchmal gibt es das auch nicht. Bett ist zum Beispiel so ein Knackpunkt. Ich mag es wenn Dinge aus möglichst wenigen Teilen bestehen, möglichst unsichtbar und aus einem Stück sind, und im Idealfall in der Form auch schon in der Natur vorkommen. Eine simple Zusammensetzung ist nicht nur produktionsbedingt, sondern sorgt generell für Klarheit. Je weniger Verbindungsstellen ein Objekt hat, desto mehr Punkte kriegt es, und Betten bestehen heutzutage meistens noch aus ungefähr einhundert Latten, da wird mir ein bisschen schwindelig. Ich wollte eines, das nur aus fünf Teilen besteht.
Küche ist auch so ein Punkt, da sind die Bedürfnisse sehr individuell, und das was der Raum zulässt. Ich habe da einfach eine Vorliebe für offene Lösungen. Ich vermeide es Fläche auf Fläche zu legen oder abgeschlossene Hohlräume zu erschaffen, wie es eigentlich bei vielen Einbauküchen der Fall ist. Ich hole mir lieber eine schönere Zahnbürste, statt einen Schrank in dem ich sie verstecke. Geschlossene Räume sind letztendlich unruhiger als offene, weil nicht klar ist was sich darin verbirgt. Das einzige Versteck in meiner Wohnung ist eigentlich der Kühlschrank.
Was ist dein Masterpiece und was hat dir den meisten Schlaf geraubt?
Das Stehregal in der Küche ist mit seinen drei selbsteinziehenden Tablaren wahrscheinlich das ausgewogenste bisher. Seine Proportionen orientieren sich direkt an dem klassischen italienischen Gasherd daneben. Es ist so konstruiert, dass beide miteinander verbunden sind und auf vier Füßen stehen.
Welche Dinge in deiner Wohnung würdest du nie verkaufen oder weggeben?
Die meisten Dinge in meiner Wohnung haben eine Geschichte über die ich viel erzählen könnte. Der Terrazzo-Spülstein zum Beispiel wurde von einem sehr lieben Steinmetz in dem Dorf meiner Eltern gegossen. Die Dattelpalme habe ich von einem russischen Ehepaar denen sie nach zwanzig Jahren zu hoch für ihre Neubaudecke geworden ist. Ich habe nur einen einzigen Schrank, und da ist all das drin, was ich nicht jeden Tag sehen will, was seinen Wert sozusagen erst dadurch erlangt, dass es nicht ständig angesehen wird. Sprich Andenken. Die sind nicht zwangsläufig besonders dekorativ, sondern haben rein ideellen Wert. Darüber hinaus bin ich nicht sehr an spezifische Objekte gebunden. Es zählt eher die Gesamtstimmung. Den USM Schrank an sich liebe ich aber auch, weil er so unglaublich zufriedenstellend konfiguriert ist. Außerdem mag ich auch diese Erco Strahler. Über Deckenbeleuchtung könnte ich reden als gäbs kein Morgen mehr. Höchst kontrovers, haha.
Und wonach suchst du gerade?
Nach einem guten Monitor.
Woran arbeitest du gerade?
Ich arbeite an einem Film-Soundtrack und an Entwürfen für eine Stehlampe die inspiriert ist von einer Art Deco Deckenleuchte im Arbeitszimmer meines Vaters. Was meine Wohnung angeht, da bin ich gerade dabei meinen Arbeitsplatz ergonomischer zu gestalten, alle Bildschirme auf Augenhöhe und einen Schreibtisch zum Stehen. Das ist mir erst letzte Woche eingefallen. Ich weiß nicht wie ich jemals anders leben konnte.
Was sind deine Lieblingsmaterialien?
Naturmaterialien, Holz, Stein, alles was robust ist, bei komplexeren Formen auch Kunststoffe, Stahl. Ich mag eigentlich alle Materialien, die nicht verdeckt sind, ich vermeide Überzüge wie Lack oder Furnier.
Was inspiriert dich? Hast du Ikonen/Idole?
“A Pattern Language” fand ich beeindruckend. Vor allem habe ich mich gefreut dort die Ideen von offener und einreihiger Aufbewahrung wiederzufinden. Achtziger Jahre Bulthaup finde ich super. Das Ökosystem Meer inspiriert mich, und Hotelzimmer. Sie sind wie eine allgemeingültige Kulisse und es gibt doch nichts Schöneres als sie zu verwüsten. Generell tendiere ich zu ursprünglichen, prähistorischen Formen.
Wie hört sich der Soundtrack zu deiner Wohnung an?
Ruhig. Es beginnt mit Talk Talk. Dann sehen wir weiter.
Hier findet ihr Maximilian: Instagram // Musik als “Easter”