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Starten wir mit einer Identitätsfrage, wer ist Pierre von Helden? Ist es ein zweites Ego, ein Künstlername oder einfach ein Teil von dir?
Pierre von Helden ist ein klassischer fiktiv-autobiografischer 20th Century Boy!
Das heißt, mir stehen seit meiner Kindheit fast alle „Channels“ der Medienkultur offen und frei zur Verfügung, sodass ich das Glück gehabt habe mich von allem inspirieren lassen zu dürfen, insbesondere Musik, Design, Filme, Literatur, Kulturelles & Gesellschaftliches.
Ich beschreibe meinen Stil als „New Social Realism“– er beschreibt meinen Blick auf die westliche Kultur und Gesellschaft, ihre Kunst, ihre Menschen und ihre Geschichte aus der bildnerischen Perspektive eines jungen Mannes des beginnenden 21. Jahrhunderts, der viel hinschaut, viel zuhört, viel liest, viel nachdenkt, viel beobachtet, viel fühlt und dann Sachen für sich im Kopf neu kombiniert und collagiert oder malt.
Welche Techniken nutzt du am meisten und warum?
Nach dem Kunststudium habe ich mich zwischen 2012 und 2017 primär mit Papiercollagen beschäftigt und diese Technik für mich perfektioniert, da mich der reduzierte und klare Ansatz interessierte. Danach habe ich die reinen Collagen häufig digital weiterbearbeitet und nannte die daraus resultierenden Druckgrafiken Coladigigraphien.
Das kleine Finale dieser Entwicklungsphase war meine letztjährige Solo-Show mit großformatigen Collagen mit dem Titel Die Straße – Ein Psychogramm.
Seitdem widme ich mich intensiver der Malerei. Durch sie ergeben sich gerade neue Wege Bildelemente zu verbinden, die ich spannend finde und die meine Bildsprache bereichern – u. a. wird Schrift bzw. das Wort immer wichtiger. Dennoch sind die stil-prägenden Merkmale meiner reinen Papier-Collagen und der Coladigigraphien, wie u. a. intensive Farbigkeit, reduzierte Formen und klare Kanten, weiterhin deutlich in den Acryl-Malereien erkennbar und bewusst integriert. Die Malerei ist für mich die logische Weiterentwicklung der Collage-Form mit malerischen Mitteln, die mir mehr Raum und Größe gibt und Langlebigkeit verspricht.
Was sind die größten Einflüsse auf deine Kunst? Wer sind deine persönlichen Helden in Sachen Kunst?
Bevor ich mich als Person überhaupt mit künstlerischen Vorbildern beschäftigte, ging es immer mehr darum zu verstehen, woher ich komme, und um das Entwickeln eines Bewusstseins für die Zeit, in der ich aufwuchs, das Leben meiner Eltern und das Hier und Jetzt. Die Basis meiner Persönlichkeit wurde vor allem durch mein Lebensumfeld als DDR- und Wendekind geprägt. Hier liegt irgendwo der Kern meiner Inspiration versteckt und dieser hat nur entfernt mit künstlerischen Vorbildern zu tun, sondern eher mit meinen Beobachtungen und Wahrnehmungen im Kreise der Familie und des Stadt-Umfelds in den 80er, 90er und 00er Jahren in Wismar, Mecklenburg-Vorpommern.
In zweiter Linie bin ich dann natürlich auch Konsument und Fan vieler Formen der Kunst: dabei ist die Literatur ein sehr wichtiger Ideen- und Gedankengeber, angefangen bei Märchen, Novellen, Sagen und Essays über klassische Gesellschafts-Romane wie von Swift, Dostojevski, Döblin, Fallada, Bräunig, Zola, Reimann, Dreiser und Richard Wright bis hin zu aktuellen Kurzgeschichten von Clemens Meyer. Auch Architektur, Design und Mode faszinieren mich schon immer – die Form- und Farbentwürfe von Bruno Taut für Wohnhausbauten in Berlin genauso wie die Schuh-Entwürfe von Tinker Hatfield für Nike. Musik ist genauso ein wichtiger Einfluss auf meinen kreativen Flow und spielt seit jeher eine Komponente in meinem Leben. Dabei liegen meine Hörvorlieben bei loopig-klassischen Hip Hop-Sounds von LA bis NYC und seinen Funk-, Soul- & Jazzwurzeln, sowie klassischem Pop-Rock irgendwo zwischen Steely Dan, Bruce Springsteen, Karat und Queen. Zusammen mit der Rocky-Filmreihe und kulturell-politischen Themen erhält man in etwa den Flavour, den ich in mir trage, wenn ich Bilder beginne.
Bilder zu machen bedeutet für mich ein Offenlegen meiner Gedanken und Gefühle, ein „Farbe-Bekennen“ als Mensch, sowie ein Zurück- und Vorausschauen. In meinen Bildern dreht es sich nie nur um Farben und Formen, es sind eher die (sozialen) Fragen, (menschliche) Gedanken und (reinen) Gefühle, die mich antreiben, meine Sichtweisen visuell festzuhalten und zu transportieren. Es geht mir mehr um Inhalt, mehr um das Leben, mehr um die Wahrheit in klar-formulierter Form, als um das rein Technische oder die Kunst als Selbstzweck.
Um meine Sinnzusammenhänge frisch zu präsentieren, nutze ich wirklich häufig Anregungen aus der Kunstgeschichte – mitunter sind es auch einfach nur die bekannten Themen der Kunst in neuem Gewand. Ich schätze die Klassiker beginnend bei Dürer, Caravaggio, Friedrich, Matisse, aber vor allem fühle ich mich dem 20. Jahrhundert verbunden und dem künstlerischen Spannungsfeld zwischen Realismus und Abstraktion. Besonders die unterschiedlichen Formen des Sozialen, Magischen und Sachlichen Realismus in den USA, Russland und Deutschland mit sozialer Ebene und besonders die DDR-Realisten der 70er und 80er Jahre, wie Lothar Zitzmann und Wolfgang Mattheuer, oder auch Afro-Amerikanische Realisten wie Jacob Lawrence, Michael Ray Charles oder Kerry James Marshall finde ich spannend.
Aber selbst formale, abstrakte und reduziert-poppige Positionen, angefangen bei den russischen Suprematisten über Otto Neurath bis Robert Indiana oder Plakate und Grafiken aus der Mitte des Jahrhunderts sind ästhetische Inspirationsfelder – halt das 20. Jahrhundert irgendwie im Ganzen und manchmal im Detail, schätze ich.
Meine Arbeiten sind oft ein Flirt zwischen reduzierten Formen, intensiver Farbigkeit und Schrift, mit sozialen und gegenwärtigen Themen – das ist allgemein hin das, was ich unter „New Social Realism“ verstehe. Wenn ich produziere, dann collagiere ich Ideen und Fragmente aus meinem Inspirationspool und suche nach dem sachlich-sozialen Moment in abgewandelter Form.
Du gestaltest immer wieder Plattencover etc. Wie kam es zu dieser Liaison mit der Musik?
Wie gesagt ist Musik seither ein prägender Faktor in meinem Leben und ich bin ein leidenschaftlicher Schallplattensammler. Schon als Kind stand ich vor dem Plattenregal meines Vaters und bestaunte die Plattencover von T-Rex, David Bowie, Karat, Queen und Pink Floyd. Mir war immer bewusst, dass die besten Alben auch meist die besten Cover-Artworks besitzen. Für mich war schon damals ein klarer Zusammenhang zwischen guter Musik und Artwork-Designs erkennbar.
Als Gestalter und Musikliebhaber gibt es nichts Feineres als ein überzeugendes Konzept zur Gestaltung eines 30cm x 30cm Quadrats umzusetzen, das Musik in Form einer Vinyl in sich trägt. Das ist pure Magie und eine große Passion von mir. Seit ich als 10-Jähriger das Born in the USA-Cover von Bruce Springsteen sah und dann den Sound hörte, wusste ich, das ist cool, das will ich auch mal machen. Da ich ganz gut mit der Untergrund-Deutsch-Rap- und der Beat-Szene connected bin, ergaben sich in den letzten Jahren einige Möglichkeiten Cover-Artworks für Musiker zu gestalten. Die Cover verstehe ich dann als eine kleine Druckauflage, die auch als Kunstdruck inklusive Musik wahrgenommen werden soll. Vinyl und Artworks sind ein Perfect-Match und so erreicht man auch nochmal ein ganz anderes Publikum und hinterlässt kleine Fußspuren in der Popkultur. Das ist auch ein Grund, warum ich zusammen mit meiner Freundin Sarah, die Kommunikationsdesignerin ist, das Apartment102 gegründet habe. Das Apartment102 ist ein Grafik- und Gestaltungsteam, aber auch unser Space in Leipzig, in dem wir arbeiten. Zusammen entwickeln und produzieren wir Posterreihen, wie die Cirles-Reihe oder Eve = Adam, bis hin zu Shirts oder Brandings.
Wann ist deine nächste Ausstellung, bzw. wo kann man sich dauerhaft deine Werke ansehen?
Meine Bilder sind konstant in Leipzig in unserem Studio-Space Apartment102 zu sehen und bald auch in ein paar meiner Leipziger Lieblings-Coffee-Spots. Desweiteren arbeite ich perspektivisch immer daran, meine Bilder überall in Deutschland zu zeigen und mit Leuten darüber ins Gespräch zu kommen. Berlin und Köln wären Städte, in denen ich meine Bilder baldmöglichst zeigen möchte. Da ich auf die Unterstützung von Galeristen verzichte, mache ich alles selbst und bleibe selbstbestimmt in meinem Tempo und Wachstum. Es fühlt sich so organischer und besser an, als mit Galerie-Menschen, die du kaum kennst, über Verkaufspreise, Shares und Versandsachen zu verhandeln. Um den schnellen Verkauf geht es mir sowieso nicht, eher um einen künstlerischen Lebensentwurf, der mir das Produzieren ermöglicht. Ich bin überzeugt davon, mich und meine Bilder am besten vertreten bzw. repräsentieren zu können. Social Media Kanäle wie Instagram machen es möglich, sich auch ohne Galerie im Rücken zu zeigen, zu wachsen und seinen Namen in die Welt zu tragen. Letztlich bedarf es der sensiblen Betrachter oder Institutionen, die nach inhaltlich aktuellen und frischen Bilden wie meinen suchen, diese schätzen und bereit sind sie zu kaufen oder zu präsentieren.
Was hat euch eigentlich nach Leipzig verschlagen?
Mich hat Leipzig als ehemalige Ost-Metropole gereizt. Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern und habe mit Auslandsunterbrechungen die ersten 28 Jahre in Wismar und Greifswald gelebt. Eine Großstadt wie Leipzig mit kulturellem Flavour und DDR-Kleinstadt-Flair, die sich gerade zu etwas ganz Neuem entwickelte, und wo überall gebaut wurde, das passte zu mir. Da wollte ich hin, weil die Stadt räumliche und persönliche Entwicklungspotentiale versprach, die ich in Städten wie Berlin, Hamburg oder Köln nicht sah. Mit einem 3-Tage-Job habe ich mir hier ein freies und künstlerisch-kreatives Leben aufgebaut. Sarah konnte ich dann auch ganz schnell davon überzeugen von Köln herzuziehen.
Euer Studio für Grafik und Gestaltung Apartment102 ist ein altes Ladengeschäft. War es sehr schwer an den Space zu kommen?
Da wir gar nicht so aktiv auf der Suche waren, können wir sagen: nein :) Es war immer ein kleiner Traum von uns ein Ladengeschäft zu beziehen, aber wir hatten keinen Druck und es auch nicht explizit beabsichtigt. Bei einem Spaziergang durch die Nachbarschaft ist uns der Raum dann aufgefallen und wir dachten, lass’ doch einfach mal anfragen! Dann haben wir rausgefunden, dass der Laden seit über drei Jahren leer stand. Die Vermietung war gleich offen für unser Konzept und wir konnten einziehen. Besonders im vorderen Teil gab es einiges zu tun, die abgehangene olle Kassettendecke ging raus, die Raufasertapeten wurden abgekratzt und wir haben alles nach unseren Vorstellungen ganz reduziert und clean umgesetzt, sodass der fast 5m hohe Raum nun für die verschiedensten Zwecke Verwendung findet – alles zwischen Grafikbüro, Showroom und sogar kleiner Yoga-Turnhalle.
Wer arbeitet hier?
Unsere Studiogemeinschaft besteht nur aus Sarah, die mit dem Mindt Designstudio selbstständig ist, und mir. Ich habe genug Platz in den hinteren Räumlichkeiten zu arbeiten und kann mich bei Bedarf nach vorne hin „ausbreiten“ – besonders für Ausstellungen ist das top, da durch die drei großen Schaufenster und die Ecklage so eine Art eigener Showroom entsteht, der sehr transparent nach außen hin ist. Wenn es mal weniger offen sein soll, ziehen wir einfach die Vorhänge zu, perfekt für private Veranstaltungen oder auch für die Yogakurse, die Sarah einmal die Woche anbietet. Dass der Raum uns all das ermöglicht, ist für uns eine unbeschreibliche Bereicherung und ein weiterer Schritt in die professionelle kreative Eigenständigkeit.
Wie sehr verändert sich gerade eure Stadt? Was gefällt, was nervt?
Wir sind ja selbst noch nicht so lange hier – ich nun seit 6 Jahren, Sarah seit 3. Und doch bemerken auch wir, wie rasant sich alles verändert. Du findest kaum noch diese krass abgerockten Häuser oder die leeren Straßenzüge, wie es vor nicht allzu langer Zeit noch der Fall war. Gerade wird hier sehr viel verkauft, renoviert und luxussaniert. Die Straßenbahnen werden immer voller, die Mieten steigen rasant und es scheint, als ob dieser ganze Prozess die Stadt überrascht hat.
Wir sehen in der Veränderung aber besonders auch Chancen und spannende Momente. Es werden immer mehr gute und inspirierte Leute herziehen, es eröffnen tolle neue Locations, du bekommst nun auch in Leipzig Speciality Coffee ;) Leipzig kann auch noch ganz schön verschlafen sein und nun geht endlich ein kleiner Ruck durch die Stadt, es gibt mehr Konkurrenz, mehr Bedarf, mehr Wahrnehmung. Das ist wichtig für eine Weiterentwicklung, persönlich wie professionell. Denn generell ist das Verständnis, für hochwertige Design- oder Gestaltungsarbeiten auch marktübliche Preise zu bezahlen, noch nicht sehr ausgeprägt.
Nerven tun in jedem Fall gewisse Künstlerattitüden und mitunter eine eitle und elitäre Künstlerszene, deren Vertreter und Anhänger sich häufig einfach nur gegenseitig toll finden und selbst beweihräuchern, aber häufig zu wenig Offenheit oder Interesse an neuen zugezogenen Potentialen zeigen. Hier zählt vor allem noch immer die HGB-Vita, Stammtischgespräche und Bekanntschaften mehr als überzeugende Arbeiten. Auch einige Kunstinstitution haben mitunter einen eingeschränkten Blick auf die gesamte Kunstszene und protegieren die immer wieder selben Leute aus dem Sammelbecken der Kunsthochschule. Das ist generell nicht schlimm, aber ziemlich einspurig und unflexibel. Aber das wird sich ändern, denn die Neuzugezogenen sind da und beginnen sich zu emanzipieren und Wurzeln zu schlagen.
Auf der anderen Seite gibt es ambitionierte Design-Messen und Kunst-Rundgänge, die es leider nicht schaffen durchweg überzeugende Künstlerpositionen zu zeigen und eher einen zweifelhaften Eindruck beim Publikum hinterlassen. Hinzu kommt, dass die Stadt eben noch keine entsprechende professionelle Medienlandschaft zum Thema hat. Auch hier braucht Leipzig noch etwas Zeit, um anzukommen.
Was muss man in Leipzig gesehen haben?
In erster Linie würden wir sagen ist es gar nicht so, dass es unbedingt eine Sache gäbe, die besonders heraussticht, sondern die reine Atmosphäre und die kreative und sympathische Grund-Spannung ist das Besondere dieser Stadt. Gönn’ dir mal einen Tag und laufe zufuß durch die Stadt oder verschiedene Stadtteile. Leipzig bietet momentan noch jedem den Raum, einen Teil zum Entstehen des „neuen Leipzig“ beizutragen. Sie ist und bleibt eine Kreative-Macher-Stadt, die Räume für Träume schafft. An einem Punkt verbindet sich dieses positive Willkommens-Gefühl mit den geschichtlichen Ereignissen und Persönlichkeiten, die diese Stadt schon beherbergte, und du weißt, dass das kein Zufall ist – es liegt einfach eine besondere und einzigartige Spannung in der Luft.
Darüberhinaus gibt es die gängigen Highlights wie das Völkerschlachtdenkmal, die umliegenden Seen und den Park bzw. Auenwald, der sich punktuell durch die ganze Stadt zieht. Hier in Plagwitz gibt es noch viele alte Fabrikruinen, auch wenn immer mehr abgerissen oder umgebaut wird, das macht es schon besonders. Und die Innenstadt hat natürlich einige klassische und moderne architektonische Glanzstücke und tolle Gebäude zu bieten. Wir feiern beispielsweise die neuen und zeitlosen Glasbaustein-Zugänge zum City-Tunnel. In der Stadt kannst du aber auch immer mal dem Museum der Bildenden Künste einen Besuch abstatten oder dich im Zeitgeschichtlichen Forum über die DDR-Geschichte informieren. Hier ziehen wir zumindest immer unseren Besuch hin.